Saftfabrik gemeinschaftlich umgenutzt – Baubiologie Magazin

2022-12-08 12:20:16 By : Mr. langbo Lee

27. August 2022 Gemeinschaftliches Wohnen + Garten Kommentieren?

Die Genossenschaft Uferwerk hat in einer denkmalgeschützten Saftfabrik ökosozialen Wohnraum geschaffen. Heute leben am Ufer des großen Zernsees 170 Erwachsene und Kinder solidarisch miteinander. Auch Ukrainer*innen sind dabei.

Auf dem Gelände der Bau- und Wohngenossenschaft Uferwerk eG wird gebaut und saniert. Ein junges Architekten-Team hat Haus 15 zum Gemeinschaftshaus umgeplant. Viele verwendete Materialien und Ideen sollen einen experimentellen und innovativen Ansatz haben. Die Fertigstellung ist für Ende 2022 geplant.

Auch sonst ist hier immer was los: Kinder spielen, Bewohner*innen pflegen ihren essbaren Garten, man trifft sich zu einem Plausch. Im Sommer ist das Ufer bevölkert. Im Winter eher der Bewegungsraum, die Werkstätten oder an Sonntagen das Atrium zum gemeinsamen Frühstücken. Mitunter gibt es Veranstaltungen wie die mobile Sauna am See oder Themenfeste wie das gemeinsame Sommerfest, das besonders die Kinder lieben.

Die Genossenschaft wurde 2011 gegründete, um „Wohn- und Lebensraum für generationenübergreifende, sozial gemischte, nachbarschaftliche Wohnformen in möglichst ökologischen und energieeffizienten Gebäuden zu schaffen“. 2014 übernahm die Genossenschaft das Gelände und die teilweise stark heruntergekommenen Gebäude einer alten Saftfabrik in Werder an der Havel, in der Nähe Potsdams. Das 17.300 m² große Grundstück liegt direkt am großen, von der Havel durchflossenen Zernsee und hat Zugang zu Uferbereichen, Bootssteg und Bademöglichkeiten. Die alte Fabrik von 1870 steht unter Denkmalschutz. Die Architektinnen Karin Winterer und Irene Mohr nutzten sie bis 2017 denkmalgerecht um und bauten neu – insgesamt 65 Wohnungen. Die Planerinnen haben das dank über 30‐jähriger Erfahrungen aus Baugemeinschaftsprojekten in Altbauten mit Bravour gelöst. Heute gibt es in der Industriearchitektur samt ihrem besonderen Charme Einzel- und Familienwohnungen für 105 Erwachsene und 65 Kinder.

Um ein Projekt dieser Größenordnung entwickeln zu können, nutzte Irene Mohr auch Erfahrungen der Stiftung Trias, einer auf die Themen Boden, Ökologie und gemeinschaftliches Wohnen spezialisierten Bürgerstiftung. Die Stiftung erwirbt Grundstücke, vergibt sie im Erbbaurecht weiter und entzieht sie so der Spekulation. So können sie dauerhaft sozial und ökologisch genutzt werden. Mohr ist dort seit 2008 aktives Mitglied. Auch für die Bewohner*innen des Uferwerks spielen neue Formen der Ökonomie und des Zusammenlebens die Hauptrolle. In der Ukrainekrise unterstützte sie Geflüchtete aus den vom Krieg zerstörten Gebieten. Die Klimawerkstatt Werder, auf dem Gelände in einer einfach sanierten Halle untergebracht, bot spontan täglich Vernetzungsmöglichkeiten unter Ukrainer*innen mit Kaffee und Kuchen an. Zudem veranstaltet sie regelmäßige Reparatur-Treffs und betreibt Näh-, Holz-, Metall- und Fahrradwerkstätten. Der gemeinnützige Verein Halle 36 im gleichen Gebäude realisiert Bildungsangebote im Bereich Kunst, Do it yourself und Umweltschutz. Zudem gibt es AGs, für Bau, Energie, Mobilität, Food-Coop und Moderation, die Projekte wie ein Saunaboot, den Steg oder den Garten für die Genoss*innen entwickeln. Die Food-Coop organisiert die Versorgung mit Bio-Lebensmitteln aus solidarischen Landwirtschaften. Die AG Mobilität betreibt nachbarschaftliche Car-, Lastenrad- und ÖPNV-Ticket-Sharing. Professionell durch ein Buchungs- und Abrechnungstool unterstützt, kann so auch das private Auto gemeinsam genutzt werden. Eine AG organisiert in den Kellerräumen einen Umsonstladen, in dem man vom Beamer bis zu Kinderschuhen alles gebraucht und manchmal sogar neu kostenlos bekommt. Zudem gibt es direkte nachbarschaftliche Engagements und immer wieder verschiedenste Themen-Hausfeste sowie Kultur- und Diskussionsabende. Für die Kinder gibt es fünf Kuschelhühner.

(1) Lebensqualität im Uferwerk: Häuser 7, 8 und 17 (ertüchtigt) umschließen den Wohnhof, der sich zum See öffnet. Haus 11 wurde aufgestockt, Häuser 12, 28 und 42 auf erhaltenen Fundamenten neu erstellt. Halle 36 erhielt eine Außendämmung (2) Für die sozialen Medien versammelten sich fast alle der 170 Genoss*innen (3) Zustand, nach der Übernahme der denkmalgeschützten Saftfabrik von 1870 (4) Zugang zu der ökologisch weiter gebauten und umgenutzten Fabrik (5) Im Turm wurden ehemals die Schläuche getrocknet. Heute sind dort Gemeinschaftsräume. (6) Am östlichen Ende des Gebäudes war eine angebaute Trafostation. Sie wurde mit neuen Materialien im gleichen Volumen ersetzt (7) Moderne Bauten verjüngen die Backsteinfabrik: ökologisches Raumklima ergänzt den Charme von hohen Räumen

Die Fabrik wurde bis zum Verkauf 2014 als Schaltgerätewerk genutzt. Das Hauptgebäude mit dem Turm steht unter Denkmalschutz. Seine ockerfarbene Klinkerfassade, die durch rote Bänder sowie Fenster- und Türstürze gegliedert ist, darf nicht beeinträchtigt werden.

Für die später erstellten Nebengebäude wie Haus 12, 28 und 42, die Trafostation an Haus 17 und Haus 15, das als Garagenkomplex in den 50er und 60er Jahren errichtet worden war, sind die Regeln nicht so streng. Sie unterliegen dem so genannten Umgebungsschutz. So konnten diese heruntergekommenen Bauten abgetragen werden. Auf dem erhaltenen Fundament wurde die gleiche Kubatur als Wohnbauten wieder neu hergestellt. Im denkmalgeschützten Turm ist heute das Gemeinschaftshaus mit Boulderwand. In die teils ungünstig geschnittenen Gebäude und Neubauten planten die Architektinnen gekonnt verschiedenste Wohnungen ein – von der großen WG für sechs Parteien bis zum Singel-Wohnen für Alte. Die Wohnungen haben Grundrisse von 25 – 250 m². Im Erdgeschoss der alten Fabrik sind sie fürstliche 3,60 Meter hoch. Zehn Bewohner*innen nutzen eine Gemeinschaftsküche. Ihre Wohnungen haben keine Küche, allerdings vorbereitete Anschlüsse, für zukünftige Änderungen. In einem anderen Cluster teilen sich drei Familien ein erweitertes Wohnzimmer.

Wunsch der Genossenschaft war es, besonders nachhaltig zu bauen, zu recyceln und ökologische Materialien wie Holz, Stroh und Lehm zu nutzen. Bei seiner Fertigstellung 2017 war Haus 28 das damals europäisch größte Strohballenhaus. In einem großen Workshop packten auch die Genoss*innen mit an. Sie errichteten das zweigeschossige Mehrfamilienhaus mit elf Wohnungen und 1.155 m² auf dem Fundament einer abgetragenen Industriehalle aus den 1930er Jahren. Auch Haus 42 wurde abgerissen und auf den Fundamenten ein neues Gebäude in der gleichen Kubatur erstellt. Es hat ein überraschend großzügiges Atrium, in dem heute Veranstaltungen stattfinden. An der Stelle einer alten Garage gibt es heute im Haus 12 zwei barrierefreie Wohnungen für die beiden ältesten Bewohnerinnen. Weiter verwertet wurden auch Fenster und Türen. Auch einige Altlasten wurden saniert, vom Asbest über alte Mineralfaserdämmung bis zum kontaminierten Boden unter der alten Lackierhalle. Der Boden wurde noch vom Vorbesitzer durch Sand ersetzt. Hier ist heute ein Sandplatz auf dem gespielt und gefeiert wird.

(8) Im gleichen Volumen, auf alten Fundamenten neu erstellt ist auch das Atriumhaus 42 (9) Halle 36 wurde nur außen überdämmt und beherbergt heute zwei Vereine mit verschiedenen Werkstätten und Räumen (10) Bei seiner Fertigstellung 2017 war es damals das in Europa größte Strohballenhaus mit zwei Geschossen und elf Wohnungen (11) Bauen als Workshop: Das Ausfachen des Holzbaus mit Dämmstroh lernten auch die Genoss*innen (12) Eine abbruchreife Garage wurde durch zwei barrierefreie Wohnungen ersetzt. Hier leben die beiden bald 80-jährigen Damen der Genossenschaft (13) Verwandelter Altbau mit differenzierten Ansichten: Haus 11 wurde aufgestockt und die Südwand außen gedämmt (14) Gedämmt wurde mit Augenmaß – diese dicke Mauer gar nicht (15) Die Genoss*innen renaturierten das Areal. Sie entsiegelten den Boden und bepflanzten ihn mit bunten, essbaren Gärten.

Photovoltaikanlagen erzeugen Strom für Wärmepumpen. Diese gewinnen Wärme aus der Abluft der Wohnungen, die in große Pufferspeicher eingeschichtet wird. Zugeheizt wird mit einem Pelletkessel und einem BHKW. Nahwärmeleitungen versorgen alle Gebäude. Zwei vor Ort wohnhafte Ingenieure steuern die Anlage selbst, was bei ihrer Komplexität eine große Herausforderung ist.

Energetisch interessant sind auch die alten Fenster der Fabrik, die zu Kastenfenstern ertüchtigt wurden. Dabei wurden auch die Laibungen innen gedämmt, damit zwischen den Scheiben keine Feuchtigkeit kondensieren kann. Gedämmt wurde mit Augenmaß. Fast alle denkmalgeschützten Gebäude erhielten eine Innendämmung. Haus 11 wurde zur Rückseite außen gedämmt. Die sehr dicken Mauern von Haus 17 wurden gar nicht gedämmt.

Wichtiges Thema war auch die Renaturierung des Areals. Dazu wurde der Boden entsiegelt und bepflanzt. Heute blühen um die Häuser Wildblumen und heimische Pflanzen wie blutroter Storchschnabel und Golddistel. Auf kleinen Parzellen haben die Bewohner*innen bunte, essbare Gärten angelegt. Einzig eine sparsam bemessene Feuerwehrstraße ist versiegelt. Sie ist gerade so groß, dass alle Häuser erreichbar sind. Sie wird vielfältig genutzt, von Rollstühlen, für Radrennen oder als Malfläche. Auf dem Gelände gibt es Obst, am See auch größere Bäume auf Wildflächen. Eine Gruppe legte einen Garten der Stille an, der einen Rückzugsort anbietet, mit schönen und differenziert ausgewählte Pflanzen.

So ist aus der alten Saftfabrik mit viel Engagement trotz bescheidenem Budget ein lebenswertes Zuhause geworden, das neue Lebensverhältnisse ermöglicht.

Sanierung und Weiterbauen Saftfabrik Uferwerk, Luisenstraße, Werder

Quellen Abbildungen: (1) Uferwerk e.G. | (2,3,7,11,13,14) Mirko Kubein | (4,5,6,9,12,15) Achim Pilz | (8,10) Winterer+Mohr Architektinnen

Gemeinschaftliches Wohnen + Garten Schlagwörter: Bürgerstiftung, Gemeinschaftliches Wohnen, Genossenschaftliches Wohnen, Wohngenossenschaft

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Achim Pilz, freier Journalist, Kurator, Juror und Berater, Baubiologe IBN und Chefredakteur des Baubiologie Magazin.

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